Kleine Onlinehändler geraten in den Abwärtssog der Krise

Der E-Commerce-Boom ist vorbei, die Verbraucher halten sich mit Einkäufen zurück. Onlinehändler sorgen sich um ihre Zukunft und beklagen fehlende Unterstützung der Politik.

handelsblatt | 16.09.2022  | Florian Kolf

Düsseldorf Zwei Jahre lang wuchs der Onlinehandel in Deutschland wie nie zuvor. Doch damit ist es jetzt vorbei, warnt Ebay-Deutschlandchef Oliver Klinck im Gespräch mit dem Handelsblatt: „Der Coronaboom ist vorüber, und umso deutlicher ist das Erwachen für viele Onlinehändler.“ Viele Händler erlebten gerade eine schwierige Zeit.

Doch es trifft nicht alle in gleichem Maße. „Besonders die kleinen Händler leiden“, beobachtet Klinck. Das dürfte auch Auswirkungen für Ebay haben, lebt die Plattform doch hauptsächlich davon, dass kleine Händler über sie gute Umsätze machen.

Doch das wird immer schwieriger. In einer Umfrage von Statista im Auftrag von Ebay unter knapp 800 kleinen und mittelgroßen Onlinehändlern geben 53 Prozent der Befragten an, stark oder sehr stark von den aktuellen gesamtwirtschaftlichen Herausforderungen betroffen zu sein. Dabei stehen ihnen die eigentlichen Herausforderungen noch bevor.

Denn die Kosten der Onlinehändler steigen massiv. Fast jeder Dritte der Befragten setzt bereits seine Rücklagen ein, um die steigenden Strompreise zu bezahlen. 56 Prozent der befragten Onlinehändler wollen deshalb ihre Preise erhöhen. Das dürfte die Nachfrage weiter einbrechen lassen.
Schon jetzt gehen die Umsätze im E-Commerce deutlich zurück. So sanken sie nach Zahlen des Onlinehandelsverbands BEVH im zweiten Quartal im Schnitt um 9,6 Prozent. Bei Bekleidung betrug der Rückgang 11,7 Prozent, bei Elektronikartikeln sogar 19 Prozent.

E-Commerce: 77 Prozent der Deutschen wollen an Online-Einkäufen sparen

Und die Lage wird sich eher noch eintrüben. Nach einer Konsumentenumfrage des Finanzdienstleisters Mollie planen 77 Prozent der Deutschen, wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage in den kommenden zwölf Monaten an ihren Online-Einkäufen zu sparen.

Das spürt auch der Händler Kay Andrä, der mit seinem Chemnitzer Unternehmen Solekitchen hochwertige Turnschuhe verkauft. „Den Sommer haben die Kunden noch für Ausgaben genutzt, aber jetzt spüren wir eine deutliche Kundenzurückhaltung“, berichtet er. „Gerade bei hochpreisigen Schuhen überlegen die Kunden zweimal.“

Das macht für ihn die Planung schwierig. „So unsicher wie beim Einkauf für die kommende Saison war ich schon lange nicht mehr“, sagt er. „Das Risiko ist hoch, wir wissen ja gar nicht, welche Kosten noch auf uns zukommen.“

Zugleich haben sich die Einkaufspreise stark erhöht. „Bei der nächsten Lieferung, die im Dezember kommt, sind teilweise die identischen Produkte bis zu 20 Prozent teurer“, sagt Andrä. Da müsse man sich sehr genau überlegen, welches Produkt sich zu diesen Preisen noch verkaufen lässt. Am Ende habe er deshalb auch Artikel aus dem Sortiment genommen.

So umsichtig sind lange nicht alle Händler, sagt der E-Commerce-Experte Christian Salza: „Bei vielen kleinen Händlern fehlt die Sensibilität, zu erkennen, wie ernst die Situation ist.“ Salza war Vorstand der Onlinehändler Home24 und Urbanara und ist heute bei der Berlin Brands Group mitverantwortlich für die Übernahme von kleineren Markenhändlern. Er beobachtet diesen Markt daher ganz genau.

Dabei trifft die kleinen Händler nach seiner Einschätzung ein ganzes Bündel an Belastungen: Preiserhöhungen der Hersteller, steigende Logistikkosten und der ungünstige Dollar-Kurs. Zugleich hätten viele trotz des absehbaren Nachfragerückgangs hohe Mengen bestellt. Nun sind die Lager voll, die neu eintreffende Ware kann nicht eingelagert werden und verursacht hohe Containerstandgebühren in den Häfen.

Das sei eine gefährliche Mischung: „Die kleinen Händler sind häufig Einzelunternehmer, die kämpfen bis zum Letzten um ihre Unternehmen“, so Salza. Aber viele gerade der jüngeren Händler hätten noch keine echte Erfahrung mit Krisen: „Es gibt da häufig keine Notfallpläne.“ Das dürfte auch zu einer steigenden Zahl an Insolvenzen führen.

Das möchte Ebay möglichst verhindern. Deutschlandchef Klinck sagt: „Es ist für uns ganz wichtig, die kleinen Händler zu unterstützen und zu fördern, weil wir dadurch das breite und tiefe Angebot bekommen, das uns von anderen Marktplätzen unterscheidet.“

Amazon und Ebay starten Hilfsprogramme für kleine Onlinehändler

Ebay habe deshalb Programme, „mit denen wir die Händler in dieser schwierigen Zeit unterstützen können“, so Klinck. So gibt es das bereits zur Coronazeit eingerichtete Programm „Durchstarter“, bei dem neue Händler in den ersten Monaten keine Provision zahlen müssen und kostenlose Beratung für den Verkauf bekommen. „Händler, die diese Hilfe in Anspruch nehmen, entwickeln sich deutlich besser als andere“, sagt Klinck.

Ebay hat mit dem Partner Iwoca auch eine neue Finanzierungslösung für kleine Händler entwickelt, die darüber kurzfristig Betriebsmittelkredite von bis zu einer Million Euro zur Zwischenfinanzierung bekommen können. Den Händlern fehle angesichts der gestiegenen Kosten häufig das Kapital, um neue Ware einzukaufen, erklärt der Ebay-Manager. „Und genau diese Lücke wollen wir damit schließen.“

Ähnliche Programme bietet auch Konkurrent Amazon an. Das Programm Quickstart Online, entwickelt mit dem Handelsverband Deutschland, richtet sich ebenfalls an kleinere Händler, die noch neu im E-Commerce sind. Außerdem bietet Amazon seit dem Frühsommer zusammen mit der ING Deutschland eine neue flexible Kreditlinie für Verkaufspartner an.

Wenig unterstützt fühlen sich die kleinen Onlinehändler in ihrer schwierigen Situation von der Bundesregierung. In der Statista-Umfrage bewerten 62 Prozent der befragten Händler die Arbeit der Bundesregierung in Bezug auf den Onlinehandel als schlecht oder sogar sehr schlecht.

Regulierungsflut belastet die kleinen Händler

Kay Andrä von der Berlin Brands Group schließt sich der Kritik an: „Es wäre schön, wenn es nicht nur im privaten Bereich Entlastungspakete der Regierung gäbe, sondern die Politik auch mal mehr an die Geschäftsleute denken würde.“ Dass die Hilfen mit dem Gießkannenprinzip vergeben würden, finde er sehr problematisch. „Eine Deckelung beispielsweise der Strompreise für Händler wäre eine große Hilfe“, so Andrä.

Am meisten aber ärgere die Onlinehändler, dass sie mit immer neuen Regularien konfrontiert würden, die für sie nur sehr schwierig umzusetzen seien. So steht das neue Elektrogesetz an, mit dem die Händler erweiterte Rücknahmepflichten erwarten, das Verpackungsgesetz bringt zudem eine Verpackungs-Kontrollpflicht.

Ebay-Deutschlandchef Klinck sagt: „Die Flut der Regulierung ist mittlerweile so hoch, dass es für kleinere Händler oder Neulinge im Onlinehandel kaum mehr möglich ist, zu verstehen, wie man sich gesetzeskonform verhalten kann.“ Die meisten Regulierungen seien gut gemeint, aber die Umsetzung sei so kompliziert, dass sie für kleine Händler kaum zu leisten sei.

„Viele sollen Chancengleichheit zwischen kleinen Händlern und großen Plattformen schaffen“, so Klinck. „Sie bewirken aber genau das Gegenteil.“


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